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Schloß Stechlin
Erstes Kapitel
Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht
sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber
hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie
und da mit ein paar Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas-
und Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seen, die diese Seenkette bilden,
heißt »der Stechlin«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und
kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt,
deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer
Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber
kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein
Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles
still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an ebendieser Stelle lebendig.
Das ist, wenn es weit draußen in der Welt, sei's auf Island, sei's auf Java zu
rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane
bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich's auch hier, und
ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen alle,
die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie wohl auch
hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah
Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in
Lissabon, dann brodelt's hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt
statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.«
Das ist der Stechlin, der See Stechlin.
Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der Wald, der ihn umschließt.
Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf, das sich, den Windungen des
Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht. Etwa hundert Häuser und Hütten
bilden hier eine lange, schmale Gasse, die sich nur da, wo eine von Kloster
Wutz her heranführende Kastanienallee die Gasse durchschneidet, platzartig
erweitert. An ebendieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit
von Dorf Stechlin zusammen; das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der
Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen Mohren
und einer Girlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster. Dieser Ecke schräg
gegenüber, unmittelbar hinter dem Pfarrhause, steigt der Kirchhof lehnan, auf
ihm, so ziemlich in seiner Mitte, die frühmittelalterliche Feldsteinkirche mit
einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des
alten Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Neben
diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her
heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis sie vor
einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden und von zwei riesigen
Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke haltmacht. Diese Brücke ist sehr
primitiv. Jenseits derselben aber steigt das Herrenhaus auf, ein gelbgetünchter
Bau mit hohem Dach und zwei Blitzableitern.
Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin, Schloß Stechlin.
Etliche hundert Jahre zurück stand hier ein wirkliches Schloß, ein Backsteinbau
mit dicken Rundtürmen, aus welcher Zeit her auch noch der Graben stammt, der
die von ihm durchschnittene, sich in den See hinein erstreckende Landzunge zu
einer kleinen Insel machte. Das ging so bis in die Tage der Reformation.
Während der Schwedenzeit aber wurde das alte Schloß niedergelegt, und man
schien es seinem gänzlichen Verfall überlassen, auch nichts an seine Stelle
setzen zu wollen, bis kurz nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. die
ganze Trümmermasse beiseite geschafft und ein Neubau beliebt wurde. Dieser
Neubau war das Haus, das jetzt noch stand. Es hatte denselben nüchternen
Charakter wie fast alles, was unter dem Soldatenkönig entstand, und war nichts
weiter als ein einfaches Corps de logis, dessen zwei vorspringende, bis dicht
an den Graben reichende Seitenflügel ein Hufeisen und innerhalb desselben einen
kahlen Vorhof bildeten, auf dem, als einziges Schmuckstück, eine große blanke
Glaskugel sich präsentierte. Sonst sah man nichts als eine vor dem Hause sich
hinziehende Rampe, von deren dem Hofe zugekehrten Vorderwand der Kalk schon
wieder abfiel. Gleichzeitig war aber doch ein Bestreben unverkennbar, gerade
diese Rampe zu was Besonderem zu machen, und zwar mit Hilfe mehrerer Kübel mit
exotischen Blattpflanzen, darunter zwei Aloes, von denen die eine noch gut im
Stande, die andre dagegen krank war. Aber gerade diese kranke war der Liebling
des Schloßherrn, weil sie jeden Sommer in einer ihr freilich nicht zukommenden
Blüte stand. Und das hing so zusammen. Aus dem, sumpfigen Schloßgraben hatte
der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe
geweht, und alljährlich schossen infolge davon aus der Mitte der schon
angegelbten Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des
Butomus umbellatus auf. Jeder Fremde, der kam, wenn er nicht zufällig ein
Kenner war, nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten, und der Schloßherr
hütete sich wohl, diesen Glauben, der eine Quelle der Erheiterung für ihn war,
zu zerstören.
Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte, so natürlich auch der
Schloßherr selbst. Auch er war ein Stechlin.
Dubslav von Stechlin, Major a. D. und schon ein gut Stück über Sechzig hinaus,
war der Typus eines Märkischen von Adel, aber von der milderen Observanz, eines
jener erquicklichen Originale, bei denen sich selbst die Schwächen in Vorzüge
verwandeln. Er hatte noch ganz das eigentümlich sympathisch berührende
Selbstgefühl all derer, die »schon vor den Hohenzollern da waren«, aber er
hegte dieses Selbstgefühl nur ganz im stillen, und wenn es dennoch zum Ausdruck
kam, so kleidete sich's in Humor, auch wohl in Selbstironie, weil er seinem
ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein
schönster Zug war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und
Dünkel und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade
sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er
hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Daß
sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah
das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. »Ich bin nicht klug genug, selber
welche zu machen, aber ich freue mich, wenn's andre tun; es ist doch immer was
drin. Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche
gibt, so sind sie langweilig.« Er ließ sich gern was vorplaudern und plauderte
selber gern.
Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-herkömmlich gewesen. Von jung an
lieber im Sattel als bei den Büchern, war er erst nach zweimaliger Scheiterung
siegreich durch das Fähnrichsexamen gesteuert und gleich danach bei den
Brandenburgischen Kürassieren eingetreten, bei denen selbstverständlich auch
schon sein Vater gestanden hatte. Dieser sein Eintritt ins Regiment fiel so
ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. zusammen, und wenn er
dessen erwähnte, so hob er, sich selbst persiflierend, gerne hervor, »daß alles
Große seine Begleiterscheinungen habe«. Seine Jahre bei den Kürassieren waren
im wesentlichen Friedensjahre gewesen; nur anno vierundsechzig war er mit in
Schleswig, aber auch hier, ohne »zur Aktion« zu kommen. »Es kommt für einen
Märkischen nur darauf an, überhaupt mit dabei gewesen zu sein; das andre steht
in Gottes Hand.« Und er schmunzelte, wenn er dergleichen sagte, seine Hörer
jedesmal in Zweifel darüber lassend, ob er's ernsthaft oder scherzhaft gemeint
habe. Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs war ihm
ein Sohn geboren worden, und kaum wieder in seine Garnison Brandenburg
eingerückt, nahm er den Abschied, um sich auf sein seit dem Tode des Vaters
halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen. Hier warteten seiner glückliche
Tage, seine glücklichsten, aber sie waren von kurzer Dauer - schon das Jahr
darauf starb ihm die Frau. Sich eine neue zu nehmen, widerstand ihm, halb aus
Ordnungssinn und halb aus ästhetischer Rücksicht. »Wir glauben doch alle mehr
oder weniger an eine Auferstehung« (das heißt, er persönlich glaubte eigentlich
nicht daran), »und wenn ich dann oben ankomme mit einer rechts und einer links,
so ist das doch immer eine genierliche Sache.« Diese Worte - wie denn der
Eltern Tun nur allzu häufig der Mißbilligung der Kinder begegnet - richteten
sich in Wirklichkeit gegen seinen dreimal verheiratet gewesenen Vater, an dem
er überhaupt allerlei Großes und Kleines auszusetzen hatte, so beispielsweise
auch, daß man ihm, dem Sohne, den pommerschen Namen »Dubslav« beigelegt hatte.
»Gewiß, meine Mutter war eine Pommersche, noch dazu von der Insel Usedom, und
ihr Bruder, nun ja, der hieß Dubslav. Und so war denn gegen den Namen schon um
des Onkels willen nicht viel einzuwenden, und um so weniger, als er ein
Erbonkel war. (Daß er mich schließlich schändlich im Stich gelassen, ist eine
Sache für sich.) Aber trotzdem bleib' ich dabei, solche Namensmanscherei
verwirrt bloß. Was ein Märkischer ist, der muß Joachim heißen oder Woldemar.
Bleib im Lande und taufe dich redlich. Wer aus Friesack is, darf nicht Raoul
heißen.«
Dubslav von Stechlin blieb also Witwer. Das ging nun schon an die dreißig
Jahre. Anfangs war's ihm schwer geworden, aber jetzt lag alles hinter ihm, und
er lebte »comme philosophe« nach dem Wort und Vorbild des großen Königs, zu dem
er jederzeit bewundernd aufblickte. Das war sein Mann, mehr als irgendwer, der
sich seitdem einen Namen gemacht hatte. Das zeigte sich jedesmal, wenn ihm
gesagt wurde, daß er einen Bismarckkopf habe. »Nun ja, ja, den hab' ich; ich
soll ihm sogar ähnlich sehen. Aber die Leute sagen es immer so, als ob ich mich
dafür bedanken müßte. Wenn ich nur wüßte, bei wem; vielleicht beim lieben Gott,
oder am Ende gar bei Bismarck selbst. Die Stechline sind aber auch nicht von
schlechten Eltern. Außerdem, ich für meine Person, ich habe bei den sechsten
Kürassieren gestanden, und Bismarck bloß bei den siebenten, und die kleinere
Zahl ist in Preußen bekanntlich immer die größere; - ich bin ihm also einen
über. Und Friedrichsruh, wo alles jetzt hinpilgert, soll auch bloß 'ne Kate
sein. Darin sind wir uns also gleich. Und solchen See, wie den Stechlin, nu,
den hat er schon ganz gewiß nicht. So was kommt überhaupt bloß selten vor.«
Ja, auf seinen See war Dubslav stolz, aber destoweniger stolz war er auf sein
Schloß, weshalb es ihn auch verdroß, wenn es überhaupt so genannt wurde. Von
den armen Leuten ließ er sich's gefallen: »Für die ist es ein Schloß, aber
sonst ist es ein alter Kasten und weiter nichts.« Und so sprach er denn lieber
von seinem »Haus«, und wenn er einen Brief schrieb, so stand darüber »Haus
Stechlin«. Er war sich auch bewußt, daß es kein Schloßleben war, das er führte.
Vordem, als der alte Backsteinbau noch stand, mit seinen dicken Türmen und
seinem Luginsland, von dem aus man, über die Kronen der Bäume weg, weit ins
Land hinaussah, ja, damals war hier ein Schloßleben gewesen, und die
derzeitigen alten Stechline hatten teilgenommen an allen Festlichkeiten, wie
sie die Ruppiner Grafen und die mecklenburgischen Herzöge gaben, und waren mit
den Boitzenburgern und den Bassewitzens verschwägert gewesen. Aber heute waren
die Stechline Leute von schwachen Mitteln, die sich nur eben noch hielten und
beständig bemüht waren, durch eine »gute Partie« sich wieder leidlich in die
Höhe zu bringen. Auch Dubslavs Vater war auf die Weise zu seinen drei Frauen
gekommen, unter denen freilich nur die erste das in sie gesetzte Vertrauen
gerechtfertigt hatte. Für den jetzigen Schloßherrn, der von der zweiten Frau
stammte, hatte sich daraus leider kein unmittelbarer Vorteil ergeben, und
Dubslav von Stechlin wäre kleiner und großer Sorgen und Verlegenheiten nie los
und ledig geworden, wenn er nicht in dem benachbarten Gransee seinen alten
Freund Baruch Hirschfeld gehabt hätte. Dieser Alte, der den großen Tuchladen am
Markt und außerdem die Modesachen und Damenhüte hatte, hinsichtlich deren es
immer hieß, »Gerson schicke ihm alles zuerst« - dieser alte Baruch, ohne das
»Geschäftliche« darüber zu vergessen, hing in der Tat mit einer Art
Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn, was, wenn es sich mal wieder um
eine neue Schuldverschreibung handelte, regelmäßig zu heikeln
Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld Vater und Hirschfeld Sohn führte.
»Gott, Isidor, ich weiß, du bist fürs Neue. Aber was ist das Neue? Das Neue
versammelt sich immer auf unserm Markt, und mal stürmt es uns den Laden und
nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die Reiherfedern und die
Straußenfedern. Ich bin fürs Alte und für den guten alten Herrn von Stechlin.
Is doch der Vater von seinem Großvater gefallen in der großen Schlacht bei Prag
und hat gezahlt mit seinem Leben.«
»Ja, der hat gezahlt; wenigstens hat er gezahlt mit seinem Leben. Aber der von
heute...«
»Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat. Und wenn er nicht hat, und ich
sage: Herr von Stechlin, ich werde schreiben siebeneinhalb, dann feilscht er
nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt, nu, da haben wir das Objekt:
Mittelboden und Wald und Jagd und viel Fischfang. Ich seh' es immer so ganz
klein in der Perspektiv', und ich seh' auch schon den Kirchturm.«
»Aber, Vaterleben, was sollen wir mit 'm Kirchturm?«
In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche zwischen Vater und Sohn, und was
der Alte vorläufig noch in der »Perspektive« sah, das wäre vielleicht schon
Wirklichkeit geworden, wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere
Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen gewesen wäre:
Schwester Adelheid, Domina zu Kloster Wutz. Die half und sagte gut, wenn es
schlecht stand oder gar zum Äußersten zu kommen schien. Aber sie half nicht aus
Liebe zu dem Bruder - gegen den sie, ganz im Gegenteil, viel einzuwenden
hatte -, sondern lediglich aus einem allgemeinen Stechlinschen Familiengefühl.
Preußen war was und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch
die Stechlins, und der Gedanke, das alte Schloß in andern Besitz und nun gar in
einen solchen übergehen zu sehen, war ihr unerträglich. Und über all dies
hinaus war ja noch ihr Patenkind da, ihr Neffe Woldemar, für den sie all die
Liebe hegte, die sie dem Bruder versagte.
Ja, die Domina half, aber solcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl der
Entfremdung zwischen den Geschwistern, und so kam es denn, daß der alte
Dubslav, der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte noch auch ihren
Besuch gern empfing, nichts von Umgang besaß als seinen Pastor Lorenzen (den
früheren Erzieher Woldemars) und seinen Küster und Dorfschullehrer
Krippenstapel, zu denen sich allenfalls noch Oberförster Katzler gesellte,
Katzler, der Feldjäger gewesen war und ein gut Stück Welt gesehen hatte. Doch
auch diese drei kamen nur, wenn sie gerufen wurden, und so war eigentlich nur
einer da, der in jedem Augenblicke Red' und Antwort stand. Das war Engelke,
sein alter Diener, der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem Herrn
durchlebt hatte, seine glücklichen Leutnantstage, seine kurze Ehe und seine
lange Einsamkeit. Engelke, noch um ein Jahr älter als sein Herr, war dessen
Vertrauter geworden, aber ohne Vertraulichkeit. Dubslav verstand es, die
Scheidewand zu ziehen. Übrigens wär' es auch ohne diese Kunst gegangen. Denn
Engelke war einer von den guten Menschen, die nicht aus Berechnung oder
Klugheit, sondern von Natur hingebend und demütig sind und in einem treuen
Dienen ihr Genüge finden. Alltags war er, so Winter wie Sommer, in ein
Leinwandhabit gekleidet, und nur wenn es zu Tisch ging, trug er eine richtige
Livree von sandfarbenem Tuch mit großen Knöpfen dran. Es waren Knöpfe, die noch
die Zeiten des Rheinsberger Prinzen Heinrich gesehen hatten, weshalb Dubslav,
als er mal wieder in Verlegenheit geraten war, zu dem jüngst verstorbenen alten
Herrn von Kortschädel gesagt hatte: »Ja, Kortschädel, wenn ich so meinen
Engelke, wie er da geht und steht, ins märkische Provinzialmuseum abliefern
könnte, so kriegt' ich ein Jahrgehalt und wäre raus.«
Das war im Mai, daß der alte Stechlin diese Worte zu seinem Freunde Kortschädel
gesprochen hatte. Heute aber war dritter Oktober und ein wundervoller Herbsttag
dazu. Dubslav, sonst empfindlich gegen Zug, hatte die Türen aufmachen lassen,
und von dem großen Portal her zog ein erquicklicher Luftstrom bis auf die mit
weiß und schwarzen Fliesen gedeckte Veranda hinaus. Eine große, etwas
schadhafte Markise war hier herabgelassen und gab Schutz gegen die Sonne, deren
Lichter durch die schadhaften Stellen hindurchschienen und auf den Fliesen ein
Schattenspiel aufführten. Gartenstühle standen umher, vor einer Bank aber, die
sich an die Hauswand lehnte, waren doppelte Strohmatten gelegt. Auf eben dieser
Bank, ein Bild des Behagens, saß der alte Stechlin in Joppe und breitkrempigem
Filzhut und sah, während er aus seinem Meerschaum allerlei Ringe blies, auf ein
Rundell, in dessen Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne
plätscherte. Rechts daneben lief ein sogenannter Poetensteig, an dessen Ausgang
ein ziemlich hoher, aus allerlei Gebälk zusammengezimmerter Aussichtsturm
aufragte. Ganz oben eine Plattform mit Fahnenstange, daran die preußische
Flagge wehte, schwarz und weiß, alles schon ziemlich verschlissen.
Engelke hatte vor kurzen einen roten Streifen annähen wollen, war aber mit
seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. »Laß. Ich bin nicht dafür. Das alte
Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was Rotes dran nähst, dann
reißt es gewiß.«
Die Pfeife war ausgegangen, und Dubslav wollte sich eben von seinem Platz
erheben und nach Engelke rufen, als dieser vom Gartensaal her auf die Veranda
heraustrat.
»Das ist recht, Engelke, daß du kommst... Aber du hast da ja was wie 'n
Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramms nicht leiden. Immer is einer dod,
oder es kommt wer, der besser zu Hause geblieben wäre.«
Engelke griente. »Der junge Herr kommt.«
»Und das weißt du schon?«
»Ja, Brose hat es mir gesagt.«
»So, so. Dienstgeheimnis. Na, gib her.«
Und unter diesen Worten brach er das Telegramm auf und las: »Lieber Papa. Bin
sechs Uhr bei dir. Rex und von Czako begleiten mich. Dein Woldemar.«
Engelke stand und wartete.
»Ja, was da tun, Engelke?« sagte Dubslav und drehte das Telegramm hin und her.
»Und aus Cremmen und von heute früh«, fuhr er fort. »Da müssen sie also die
Nacht über schon in Cremmen gewesen sein. Auch kein Spaß.«
»Aber Cremmen is doch soweit ganz gut.«
»Nu, gewiß, gewiß. Bloß sie haben da so kurze Betten... Und wenn man, wie
Woldemar, Kavallerist ist, kann man ja doch auch die acht Meilen von Berlin bis
Stechlin in einer Pace machen. Warum also Nachtquartier? Und Rex und von Czako
begleiten mich. Ich kenne Rex nicht und kenne von Czako nicht. Wahrscheinlich
Regimentskameraden. Haben wir denn was?«
»Ich denk' doch, gnädiger Herr. Und wovor haben wir denn unsre Mamsell? Die
wird schon was finden.«
»Nu gut. Also wir haben was. Aber wen laden wir dazu ein? So bloß ich, das geht
nicht. Ich mag mich keinem Menschen mehr vorsetzen. Czako, das ginge vielleicht
noch. Aber Rex, wenn ich ihn auch nicht kenne, zu so was Feinem wie Rex pass'
ich nicht mehr; ich bin zu altmodisch geworden. Was meinst du, ob die
Gundermanns wohl können?«
»Ach, die können schon. Er gewiß, und sie kluckt auch bloß immer so rum.«
»Also Gundermanns. Gut. Und dann vielleicht Oberförsters. Das älteste Kind hat
freilich die Masern, und die Frau, das heißt die Gemahlin (und Gemahlin is
eigentlich auch noch nicht das rechte Wort), die erwartet wieder. Man weiß nie
recht, wie man mit ihr dran ist und wie man sie nennen soll, Oberförsterin
Katzler oder Durchlaucht. Aber man kann's am Ende versuchen. Und dann unser
Pastor. Der hat doch wenigstens die Bildung. Gundermann allein ist zu wenig und
eigentlich bloß ein Klutentreter. Und seitdem er die Siebenmühlen hat, ist er
noch weniger geworden.«
Engelke nickte.
»Na, dann schick also Martin. Aber er soll sich proper machen. Oder vielleicht
ist Brose noch da; der kann ja auf seinem Retourgang bei Gundermanns mit
rangehen. Und soll ihnen sagen sieben Uhr, aber nicht früher; sie sitzen sonst
so lange rum, und man weiß nicht, wovon man reden soll. Das heißt mit ihm, sie
red't immerzu... Und gib Brosen auch 'nen Kornus und funfzig Pfennig.«
»Ich werd' ihm dreißig geben.«
»Nein, nein, funfzig. Erst hat er ja doch was gebracht, und nu nimmt er wieder
was mit. Das ist ja so gut wie doppelt. Also funfzig. Knaps ihm nichts ab.«
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